Die Besessenheit mancher Aktivisten der Political Correctness, alles das in Frage zu stellen oder zumindest zu relativieren, was einen Deutschen stolz auf die deutsche Geschichte machen könnte, führt hierzulande mehr als in jedem anderen Land der Welt zu systematischen Zweifeln, ob die Einordnung berühmter historischer Persönlichkeiten als „deutsch“ tatsächlich zutreffen kann. So war zum Beispiel Wolfgang Amadé Mozart selbstverständlich Deutscher, auch wenn ihn der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag bezüglich seiner Nationalität zu einem „Salzburger Musiker“ macht. Nach dieser wirren Logik müsste man die ganze Wikipedia umschreiben und dann auch gleich Beethoven zu einem „Kurkölnischen Musiker“ und Kepler zu einem „Weilderstädter Astronom“ machen.
Seine Zeitgenossen im In- und Ausland haben Mozart als „großen deutschen Komponisten“ gefeiert, und er selbst hat sich ausweislich seiner Briefe zeitlebens als Deutscher gefühlt und sich auch so bezeichnet, auch wenn es einen deutschen Nationalstaat zu seinen Lebzeiten noch nicht gegeben hat. So schreibt er im Brief vom 18. August 1782 an seinen aus Augsburg stammenden Vater Leopold:
„Will mich Deutschland, mein geliebtes Vaterland, worauf ich, wie Sie wissen, stolz bin, nicht aufnehmen, so muss in Gottes Namen Frankreich oder England wieder um einen geschickten Deutschen mehr reich werden, und das zur Schande der deutschen Nation.“
Offensichtlich erfolgte die posthume Umschreibung der nationalen Identität Mozarts vom Deutschen zum Salzburger, um österreichischen Ambitionen entgegenzutreten, Mozart gerade wegen seiner Salzburger Wurzeln zum Österreicher zu machen. Doch auch in dieser Hinsicht ist die historische Sachlage eindeutig: Mozart wurde in Salzburg geboren und war zeitlebens Untertan des Fürsterzbischofs von Salzburg. Das Erzstift Salzburg war nach der Loslösung vom Mutterland Bayern seit etwa 1350 ein eigenständiges geistliches Reichsfürstentum im Bayerischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und stand zu Lebzeiten Mozarts in keiner direkten Abhängigkeit vom Haus Habsburg-Lothringen oder gar vom Erzherzogtum Österreich.
Mit anderen Worten: Auch noch aus heutiger Sicht war Salzburg zu Lebzeiten Mozarts ebenso wie Köln, Leipzig oder Nürnberg eine deutsche und keine österreichische Stadt. Es hatte in territorialer Hinsicht mit Österreich nichts zu tun. Und wenn es eine historische und auch verwaltungstechnische Verbundenheit zu einem großen Nachbarn gab, dann zu Bayern und nicht zu Österreich.
Erst mit der Säkularisation 1803 wurde das Erzstift Salzburg aufgelöst, und 1816, also 25 Jahre nach Mozarts Tod, wurde Salzburg durch den Vertrag von München qua Gebietstausch aus der zwischenzeitlichen Zugehörigkeit zum Königreich Bayern entlassen und dem 1806 entstandenen Kaisertum Österreich zugeordnet, welches dann wiederum führendes Mitglied im bis 1866 bestehenden Deutschen Bund war.
Mozart war deshalb sowohl aus zeitgenössischer Sicht als auch bei heutiger Bewertung der historischen Fakten sowie insbesondere aufgrund seines persönlichen Empfindens in jedem Fall Deutscher. Wegen seiner letzten 10 Lebensjahre in Wien würde er sich heute, um der neudeutschen Sucht nach vermeintlicher politischer Korrektheit nachzugeben, vielleicht auch noch als „Deutsch-Österreicher“ bezeichnen lassen, obwohl dies nur aus heutiger österreichischer Sicht nachvollziehbar ist, da zu Mozarts Lebzeiten sich auch die Wiener als Deutsche fühlten und es eine „österreichische Nation“ sowie ein entsprechendes nationales Zugehörigkeitsgefühl noch nicht gab.
Jedenfalls wäre Mozart mit der Zuordnung zu einer niemals existierenden „Salzburger Nationalität“ nicht einverstanden gewesen und schon gar nicht mit der historisch gänzlich verfehlten ausschließlichen Einordnung als „österreichischer Komponist“, wie es aufgrund der deutschen Selbstzweifel in vielen fremdsprachigen Wikipedia-Einträgen heißt. Denn das wäre ebenso absurd, als würde man Immanuel Kant, der sein Leben im ostpreußischen Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, verbracht hat, als „russischen Philosophen“ einordnen oder den (Süd-)Tiroler Andreas Hofer wegen der 110 Jahre nach seinem Tod erfolgten Annexion Südtirols durch Italien als „italienischen Freiheitskämpfer“.
Mozart selbst hat das zeitgenössische Empfinden im erwähnten Brief mit der Betonung der Zugehörigkeit zu einer „deutschen Nation“ im Verhältnis zu Ländern wie Frankreich und England klar zum Ausdruck gebracht. Und der französische Staatstheoretiker Montesquieu beschrieb das Reich 1748, also bereits vor Mozarts Geburt, als eine „république fédérative d´Allemagne“, also als ein föderativ verfasstes Gemeinwesen Deutschlands.
Natürlich ist zu berücksichtigen, dass auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches im Lauf der Geschichte neben der später namensgebenden deutschen Nation im Zentrum weitere Nationen an den Rändern entstanden. Dazu zählen die Schweizer und die Niederländer sowie aufgrund der „kleindeutschen Lösung“ schließlich auch die Österreicher, beginnend ab 1866/1871, verstärkt ab 1918 und schließlich endgültig ab 1945.
Jedoch können historische Persönlichkeiten der betreffenden Nation nur dann zugeordnet werden, wenn sie auf solchen Territorien geboren wurden (oder den größten Teil ihres Lebens verbracht haben), die bereits zu ihren Lebzeiten zu den staatlichen Vorläufern der Schweiz, der Niederlande oder Österreichs gehörten. Und das war bei Mozart in Bezug auf Österreich eindeutig nicht der Fall und unterscheidet ihn zum Beispiel von Joseph Haydn, der im Erzherzogtum Österreich geboren wurde und auch größtenteils dort gelebt hat.
Auch wenn die Zuordnung historischer Personen zu einzelnen Nationen im Fall des Heiligen Römischen Reichs zugegebener Maßen nicht immer einfach ist, so muss doch eine gewisse Stringenz im Sinne einer Gleichbehandlung vergleichbarer Sachlagen gefordert werden.
Schiller zum Beispiel, ein Zeitgenosse Mozarts, wird von Wikipedia international richtiger Weise als „deutscher Dramatiker“ vorgestellt. Seine Geburts- und Heimatstadt war Marbach im Herzogtum Württemberg. Warum wird Schiller dann nicht als Marbacher oder Württemberger Dramatiker bezeichnet? Denn es gibt keinen Grund, in systematischer Hinsicht zwischen dem Herzogtum Württemberg und dem Erzstift Salzburg zu unterscheiden: Beides waren eigenständige Reichsglieder im Heiligen Römischen Reich und beide hatten rechtlich und territorial mit dem Großherzogtum Österreich nichts zu tun. Salzburg und Marbach unterschieden sich zu Lebzeiten Mozarts und Schillers in nichts hinsichtlich ihrer Einordnung als „deutsche Städte“.
Ja, auch Wien und Linz waren zu jener Zeit „deutsche“ Städte. Aber sie lagen – anders als Salzburg oder Stuttgart – im Großherzogtum Österreich, dem Stammland der späteren österreichischen Nation und sind damit bei zutreffender retrospektiver Einordnung jahrhundertealte „österreichische Städte“.
Also ist das einzige „Argument“ für die nachträgliche „Austrisierung“ Mozarts, dass erstens 25 Jahre nach seinem Tod im Vertrag von München sich das zwischenzeitliche Kaisertum Österreich im Gebietstausch von der linksrheinischen Pfalz getrennt und im Gegenzug Salzburg übernommen hat und zweitens nochmals 50 bis 140 Jahre später sich eine eigenständiger österreichischer Nationalstaat herausgebildet hat.
Hätte man 1816 – was durchaus auch erwogen worden war – Salzburg bei Bayern belassen, wäre der 25 Jahre zuvor verstorbene Mozart also auch heute noch Deutscher? Das ist absurd! Und weil das wohl auch bei der deutschsprachigen Wikipedia so gesehen wurde, hat man ihn, um dem österreichischen „Anspruch“ auf Mozart nicht entgegentreten zu müssen, schlichtweg entgegen sonstiger Logik seine zutreffende deutsche Nationalität genommen und zum Salzburger gemacht.
Aber Lexika dürfen sich bei der nationalen Zuordnung von Personen nicht zum Spielball von Chauvinismen machen, die mit aller Macht – aber gegen alle historischen Fakten – bedeutende Persönlichkeiten nachträglich zwangseinbürgern wollen. Wenn Mozart selbst gesagt hat, er sei stolz, Deutscher zu sein, so interpretiert heutiger österreichischer Chauvinismus dies so, Mozart habe damit eigentlich sagen wollen, er sei stolz, Österreicher zu sein. Mozart habe nur noch nicht wissen können, dass er eigentlich Österreicher ist. So kann man Geschichtswissenschaft nicht betreiben!
Ja, Mozart war Salzburger! Aber zwischen 1756 und 1791 Salzburger zu sein, bedeutete damals und bedeutet heute immer noch, dass man damals Deutscher war. Genau wie das für die Stuttgarter, Hamburger oder Königsberger dieser Epoche zutrifft. Wenn also überhaupt ein „Kompromiss“ hinsichtlich Mozarts nationaler Zuordnung in Frage kommt, so kann der nur lauten: Mozart war ein deutsch-österreichischer Komponist – und wahrscheinlich der genialste der Musikgeschichte!
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Was ist Mozarts Vaterland? (Essay) (64,2 KiB, 1.240 hits)